Horrorszenario Elternabend

Nun ist es soweit: Der erste Elternabend meiner 5. Klasse steht an. Trotz guter Vorbereitung bin ich ziemlich nervös. Nach und nach trudeln auch die letzten Eltern ein, und alle starren mich erwartungsvoll an. Es ist wie auf einem Präsentierteller. Ich habe das Gefühl, alle warten nur auf den kleinsten Fehler, um dann über mich herfallen zu können.

Ich beginne mit einer kurzen Vorstellungsrede. Schon nach kurzer Zeit kristallisiert sich heraus, welche Eltern sich selber gerne reden hören und besonders viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Sie wissen auch zu allem etwas zu sagen. Eine Mutter sticht besonders hervor. Jeder zweite Satz aus ihrem Mund ist: „Also an der Grundschule meiner Tochter haben wir das aber so (natürlich ganz anders als hier) gemacht.“

Bevor ich überhaupt mit meinem ersten Programmpunkt beginnen kann, startet sie eine wilde Diskussion über die schweren Schultaschen der Schüler. Nach einer halben Stunde breche ich die Diskussion ab, und wir einigen uns darauf, im Klassenraum einzelne Fächer für die Kinder anzulegen (war in der Grundschule ja auch so).

Nach und nach kämpfe ich mich durch jeden Programmpunkt. Beim Thema Wandertag überbieten sich die Helikopter-Eltern gegenseitig: „Mit dem Ort bin ich nicht einverstanden. Da muss was mit mehr Kultur her!/ Wie stellen Sie sicher, dass meinem Kind dort nichts passiert?/ Mein Kind muss im Bus vorne sitzen, sonst wird ihm schlecht.“ Die Grundschulmutti will ihre Tochter erst gar nicht alleine fahren lassen, denn das – Sie ahnen es vielleicht – habe sie in der Grundschule auch nicht gemacht. „Wir sind aber nicht mehr in der Grundschule!!!“, dieser Satz brennt mir so sehr auf der Zunge, dass ich kurz davor bin, ihn herauszuschreien. Stattdessen atme ich tief durch.

Denn schon ist eine weitere typische Fünftklässler-Elternabend-Diskussion ausgebrochen. Nämlich: Mein Kind muss ganz vorne sitzen, da…und nun kommt‘s: Bescheinigte Hörschwäche, ADHS, Hochbegabung, Brille, Leserechtschreibschwäche, Dyskalkulie oder eine andere Ausrede, die sich die Eltern für eine mögliche Diagnose einfallen lassen. Und nun stehen wir vor dem nächsten großen Problem, dass von 25 Schülern 20 vorne sitzen müssen!

Erst beim ungeliebten Programmpunkt Wahlen zum Elternvertreter wird es endlich mal mucksmäuschenstill, und alle sehen betreten zu Boden. Da zeigt plötzlich die Grundschulmutti auf: „Ich mach das doch gerne. Hab ich in der Grundschule auch schon gemacht.“ Ich schicke ein leises Stoßgebet zum Himmel und notiere mir den Namen.

Bei Verschiedenes geht es noch mal rund: Der Mathelehrer könne nicht erklären, die Englischlehrerin schreibe zu schwere Arbeiten und diese fallen zu schlecht aus (zu Hause und bei der Nachhilfe habe das Kind noch alles gekonnt – Wer`s glaubt), die Cafeteria verkaufe ungesundes Essen, der Klassenraum sei zu ungemütlich, die… – Nach knappen drei Stunden beende ich schließlich den Elternabend.

Bevor ich mich auf den Weg nach Hause in meinen wohlverdienten Feierabend machen kann, steuert die neue Elternvertreterin zielstrebig auf mich zu. „Frau Bachmayer, ich habe da noch ein Anliegen!“ „Oh nein, was kommt denn jetzt noch?“, denke ich genervt. „Könnten Sie bitte darauf achten, dass meine Tochter in Ihrem Unterricht genug gefordert wird? Sie ist nämlich hochbegabt und hat sich bis jetzt in Ihrem Unterricht ein wenig gelangweilt.“ Ich starre sie mit offenem Mund an. Henrieke hochbegabt? Ich muss mich beherrschen, nicht in schallendes Gelächter auszubrechen. An der Miene der Mutter erkenne ich jedoch, dass es ihr voller Ernst ist. „Sie wissen doch,“ setzt diese fort, „hochbegabte Kinder brauchen eine spezielle Förderung.“ Scheinbar wertet sie meine Sprachlosigkeit als Zustimmung, denn sie setzt gleich noch einen oben drauf: „Eins noch: Als sie meine Tochter heute ermahnt haben, leise zu sein, hat sie gar nicht geredet. Das war nämlich Marie, die hat geschwatzt.“

Auch wenn ich noch nicht allzu lange im Lehrerberuf bin, habe ich gelernt, dass es manchmal besser ist, die Klappe zu halten und sich nicht mit solchen Eltern anzulegen. Bringt nur Stress. Das ist so ein Fall. Ich schlucke meinen Ärger hinunter und verabschiede mich.

5 Reaktionen auf “Horrorszenario Elternabend”

  1. Lotti

    Genauso ereignen sich oft auch Elternabende in der Grundschule, dann jedoch mit „Das war im Kindergarten auch so!“ Wichtig erscheint mir die Kommunikation mit Eltern auf dialogischer Ebene, um in ihren Köpfen etwas bewegen zu können. Die Anstrengungen lohnen sich! Es gibt auch viele tolle und kooperative Eltern!!!
    Nicht nachvollziehen kann ich, dass es eine Lehrkraft schafft, ihren eigenen Elternabend drei Stunden lang dauern zu lassen! Wer leitet so einen Abend? Die Lehrkraft oder die Eltern?

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  2. Mithrandir

    Joar – einer der Gründe, warum ich nie hätte Lehrer werden können. Vermutlich hätte ich die Dame vor versammelter Mannschaft bloßgestellt.

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  3. Michael

    Interessant ist vor allem, das fast alle Eltern ihre Ableger für einen kleinen Einstein halten, obwohl vielfach das Gegenteil der Fall ist.
    Andererseits sollten Lehrer (oder sollte ich Pädagogen sagen?) auch nicht so um den heißen Brei reden, denn dann hat man ständig damit zu tun, das die Einschläge spürbar näher kommen. Warum kann sich ein Lehrer nicht mal vor diese Bande von Eltern stellen und Klartext reden; dieses weichgespülte Gerede zeigt doch, das die besonders „interessierten“ Eltern immer etwas zu meckern haben. Vieleicht sollte man als Lehrer einfach mal vorschlagen, das die Schüler nun jeden Morgen abgeholt werden, damit sie ihre schwere Tasche nicht mitschleppen müssen. Es wird sicherlich eine ganze Weile dauern bis der erste merkt, das man auch mit Ironie umgehen kann. ich wette aber, das Zustimmendes nicken ausgelöst wird und man seine Liebsten dort einschätzen kann, um die weiteren Punkte abzuarbeiten. Und da werden die ganz ehrgeizigen Eltern schnell einen Lacher auslösen; aber damit müssen sie leben.

    Also nicht immer über den Kopf streicheln und ihnen sagen was sie hören wollen, nicht gleich Zugeständnisse machen (Fächer für Bücher), sondern fragen wer das ganze denn finanzieren soll. Wahrheit darf manches Mal auch ruhig wehtun.

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  4. Herbart

    Die eine oder andere Begegnung der dritten Art hatte wohl jeder schon mal mit Eltern. Im Zusammenhang mit ihren Lütten verlieren manche jegliche Maßstäbe. Sie glauben tatsächlich, dass der Sohn sich immer dann meldet, wenn man mit dem Rücken zu ihm an der Tafel steht und somit die „4“ mündlich keierlei Berechtigung hat, u.s.w. Man muss allerdings auch sagen, dass der offizielle Teil meines letzten Elternabends (inclusive Wahl der Elternvertreterin) schon nach 20 Minuten beendet und danach ein wenig lockerer Smalltalk angesagt war. Sowas gibt es auch !!

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