Rette sich wer kann, die Fünftklässler kommen!

Warum bin ich nicht Beamtin im Innendienst geworden? – 225 Arbeitstage voll himmlischer Ruhe, nur durchbrochen durch Wochenenden sowie Feier- und Urlaubstage, an denen es vielleicht mal turbulenter zugeht. Warum musste ich mich an die pädagogische Front melden? Nun stehe ich unter Dauerbeschuss von 30 Egomanen, die es lieben, wild durcheinander zu schreien und sich selbst zum Nabel der Welt zu machen.

In den Pausen gibt es auch keine akustische Erholung. Im Lehrerzimmer ist es kaum leiser als in der Pausenhalle bei den Schülern und in der Mensa beim Mittagessen kann der Lärm schon mal leicht auf 140 Dezibel ansteigen. Das ist lauter als eine Kreissäge, hört sich nur schlimmer an.

Was tun wir Lehrer dagegen? Nichts! Anstatt gemeinsam für Lärmschutz und kleinere Anfangsklassen zu demonstrieren, versuchen wir, uns gegenseitig auszutricksen. So z.B. bei der Vergabe von Klassenlehrerschaften. Bis auf die Superengagierten will niemand in die 5. Klassen; denn die Kleinen sind besonders laut und nervig

Damit ich ja keine 5. Klasse bekomme, habe ich mich bereits vor Schuljahresbeginn eifrig umgehört, ob nicht eine Klassenlehrerin in Mutterschaft oder Pension geht (beides kommt ja selten vor) oder aber krankheitsbedingt (zumeist Burnout) länger ausfällt. Kein Wunder bei der Lärmbelästigung.

„Hast du gehört, dass die Brüggemann ihre 7. Klasse abgibt?“, flüstert mir meine Lieblingskollegin Steffie in der großen Pause zu, während sie sich zwei Kekse auf einmal in den Mund schiebt. Schlagartig verspüre ich den Drang, sofort zum Schulleiter zu rennen, um mich auf die Liste als neue Klassenlehrerin zu setzen. Steffie, die mich sofort durchschaut hat, winkt ab: “Kannst du vergessen! Da stehen bereits zehn Leute auf der Liste.“ Mist, da war ich wohl nicht schnell genug. Und schon habe ich das Dilemma und darf in diesem Schuljahr Deutsch und Geschichte in der 5a unterrichten. So quäle ich mich acht Stunden die Woche in einem Käfig voller streitender Individualisten, aus dem ich jedes Mal völlig fertig und verschwitzt wieder entfliehe.

Ich habe das gesamte pädagogische Repertoire, das die Gurus auf der Pädagogischen Woche der Uni abgeseiert haben, ausprobiert. Es fruchtet nichts.

Schon auf dem Flur vor der Klasse kommen mir die schreienden kleinen Monster entgegen:

„Sam hat mich geschlagen!“/ „Kim hat mich Hure genannt“ / „Opfer polier isch Fresse!“ Ich nehme mir immer wieder vor, den Schülern freundlich zu begegnen und mich ihnen positiv zuzuwenden. Aber spätestens beim Betreten des Klassenraums sind meine ganzen Vorsätze verpufft. Da wird geschrien, gepöbelt, gepetzt, geschlagen und manchmal fallen auch ziemlich beleidigende Worte gegen mich (Du F…bitch!). In solchen Momenten könnte ich jegliche pädagogische Maßnahme zum Mond schießen und einfach nur sinnlos herumbrüllen. Darf ich aber nicht.

Der oberschlaue Seminarleiter Krautmann empfiehlt mir allen Ernstes spezielle Handzeichen wie z.B. das Stille-Zeichen. Meine Schüler finden das zum Brüllen komisch. Ich habe von Lärmampel über Klangschale bis hin zu Belohnungssystemen oder Strafmaßnahmen alles ausprobiert – no chance. Da kommt mir plötzlich die Erleuchtung. Ich schicke einen Morgengruß per WhatsApp aufs Smartphone. Die Schüler gucken interessiert, und als ich ein paar passende Arbeitsaufträge nachliefere, fangen die ersten tatsächlich an zu arbeiten. Unser Thema: Die coolsten Sprüche auf Facebook. Alles individualisiert, differenziert, kompetenz- und schülerorientiert aufbereitet. Und plötzlich wird es in der Klasse leise.

Heute Mittag kann ich auf meine Yogamatte zur Entspannung und zwei Tafeln Schokolade als Nervennahrung verzichten. Und als ich auf mein Smartphone schaue, steigt meine Laune zusätzlich. 23 WhatsApp-Nachrichten. Von meinen Schülern. Heute fanden sie meinen Unterricht richtig geil.

4 Reaktionen auf “Rette sich wer kann, die Fünftklässler kommen!”

  1. Aufgeblasene Alphatierchen: Immer Ärger mit der Schulleitung | Frau Bachmayer packt aus!

    […] und werde dort gleich ordentlich in die Mangel genommen. „Was fällt Ihnen ein, die Schüler Handys im Unterricht benutzen zu lassen?“ Wütend sieht mich mein Schulleiter an. Bevor ich antworten kann, schiebt […]

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  2. Max Andersen

    Ein großartiger Text ! Witzig geschrieben von einer Lehrerin, die mit der Zeit geht und die Kinder, so schwer es auch heute sein mag, erreicht !

    Dass Handys im Unterricht nicht erlaubt sind…..tja…..wer nicht den nötigen Mut hat, sollte es lassen 😉

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  3. Frau Kannt

    Hallo Frau Bachmeyer,
    dazu können Sie das Smartboard einsetzen, dann können alle Schüler/innen die Ergebnisse lesen und bearbeiten. Das unterbindet auch cybermobbing zumindest bei dieser Aufgabenstellung. Ansonsten empfehle ich Sozialtraining mindestens zweimal die Woche etwa 10 Minuten, das macht Spaß mit den entsprechenden Übungen. Die SuS warten schon darauf und nach ca. einem halben Jahr sehen Sie Verbesserungen im Verhalten bei md. 70% der SuS. Aber dann nicht aufhören, die Erziehungskompetenz in der Gruppe verändert sich, man muss dann nicht mehr selbst so oft tätig werden. Habe ich mehrfach ausprobiert, mit Geduld und langem Atem wird man am Ende belohnt. Also viel Erfolg!

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